
Ein christlicher Umgang mit dysfunktionalen Beziehungen
Persönlicher Erfahrungsbericht: Umgang mit verletzenden Beziehungen
Es gibt Beziehungen im Leben, die schmerzen tiefer, als Worte es ausdrücken können. Und manchmal sind es gerade die Menschen, von denen man sich eigentlich Liebe und Nähe wünschen würde, die uns immer wieder verletzen.
Auch ich kenne so eine Beziehung. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen – aus Achtung vor der Privatsphäre des anderen. Aber ich spüre, dass Gott in diesem Bereich gerade Heilung anstoßen möchte.
Durch diese Verbindung habe ich über Jahre hinweg Lieblosigkeit, Ignoranz, Manipulation und seelische Verletzungen erfahren.
Vor meiner Bekehrung hat mich diese Beziehung regelmäßig überfordert und ich habe versucht, dagegen anzukämpfen, dafür zu kämpfen. Ich wollte Nähe, Verständnis, eine echte Beziehung. Doch selbst nachdem ich Jesus kennengelernt habe, wurde es nicht – wie ich es gehofft hatte – leichter.
Im Gegenteil: Je mehr ich mich bemühte, demütig zu sein, mich zurückzunehmen, zu vergeben, desto mehr schien man von mir zu erwarten, alles hinzunehmen.
Mein Empfinden wurde ignoriert. Meine Tränen nicht beachtet. Meine Grenzen übergangen. Und an den Tagen, an denen ich am tiefsten Punkt war und Hilfe suchte, ging es schlussendlich doch immer wieder nur um die andere Person.
Ich dachte: So muss es wohl sein, wenn man Jesus nachfolgt. Doch dann, vor einiger Zeit, hat Gott mir etwas Entscheidendes gezeigt: Vergebung bedeutet nicht automatisch Versöhnung. Und: Vergebung bedeutet nicht, dass ich mich weiterhin verletzen lassen muss.
Seitdem habe ich begonnen, mich intensiver mit Gottes Wort auseinanderzusetzen.
Was meint Jesus wirklich, wenn er sagt: "Halte auch die andere Wange hin" (Matthäus 5,39)? Wie oft soll ich vergeben – siebenmal, siebzigmal siebenmal? Und was ist, wenn sich nie etwas ändert?
Vergebung verstehen – biblisch und praktisch
Die Bibel spricht klar über Vergebung. Jesus selbst sagt: „Wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben." (Matthäus 6,14)
Vergebung ist kein Gefühl. Es ist eine Entscheidung, den inneren Schuldschein loszulassen. Und oft ist es nicht nur eine einzelne Entscheidung, sondern ein Prozess, den wir immer wieder durchlaufen. Vergebung kann ein täglicher Schritt sein – manchmal im Gebet, manchmal im Loslassen alter Gedanken, manchmal im Schweigen, wenn man am liebsten kontern würde. Ich sage vor Gott: „Ich klage dich nicht mehr an."
Nicht, weil das Geschehene in Ordnung war. Sondern weil ich frei sein will – von Groll, Wut und Bitterkeit.
Aber: Vergebung ist nicht ...
... ein Vergessen oder Verharmlosen des Geschehenen.
... eine Einladung, so weiterzumachen wie bisher.
... eine Pflicht, mich wieder in dieselbe zerstörerische Nähe zu begeben.
... ein Zeichen von Schwäche.
Unterschied zwischen Vergebung und Versöhnung
Die Bibel unterscheidet klar: Vergebung ist meine Entscheidung. Versöhnung aber ist ein gemeinsamer Weg.
Ein anschauliches Beispiel dafür finden wir in der Geschichte von Jakob und Laban (1. Mose 31). Jahrelang hatte Laban Jakob ungerecht behandelt, seinen Lohn mehrfach verändert und ihn ausgenutzt. Jakob entschied sich, zu gehen, und ließ sich nicht länger ausbeuten. Als es schließlich zur Begegnung kam, suchten beide den Frieden, aber sie beschlossen eine klare Grenze: „Der Herr sei Zeuge zwischen mir und dir. [...] Dieser Steinhaufen sei heute ein Zeuge.“ (1. Mose 31,49–52)
Versöhnung bedeutete in diesem Fall nicht Nähe oder Vertrauen, sondern ein klarer Schlussstrich – unter Gottes Augen. Frieden war möglich, aber mit Distanz. So zeigt die Bibel: Versöhnung braucht beidseitiges Einvernehmen, Ehrlichkeit, und manchmal auch räumliche Trennung.
Versöhnung setzt Reue, Umkehr, Veränderung voraus. Wer immer wieder verletzt, aber nie Verantwortung übernimmt, zeigt: Ich bin nicht bereit für echten Frieden.
"Die andere Wange hinhalten" – was Jesus vielleicht meinte
In Matthäus 5,39 sagt Jesus: "Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin."
Diese Aussage wurde oft als Aufforderung zur Passivität missverstanden. Doch Bibelausleger wie Walter Wink oder christliche Organisationen wie die Heilsarmee erklären, dass es sich hier um einen gewaltfreien, aber kraftvollen Widerstand handelt (rpi-loccum.de, heilsarmee.de).
Im historischen Kontext galt der Schlag auf die rechte Wange mit dem Handrücken als herabwürdigend. Wenn das Opfer nun die andere Wange hinhält, zwingt es den Angreifer, mit der flachen Hand zu schlagen – was Gleichstellung ausdrückt. Es ist ein stiller Protest, der sagt: "Ich wehre mich nicht mit Gewalt. Aber ich wehre mich mit Würde."
Jesus ruft also nicht zur Aufgabe auf, sondern zur bewussten Ablehnung von Rache, zur aktiven Friedfertigkeit.
"Jesus will nicht, dass wir Opfer für alle Zeit bleiben. Sein Gebot, die andere Wange hinzuhalten, ist kein Zeichen der Schwäche – sondern ein kraftvoller, stiller Widerstand."
Grenzen setzen in dysfunktionalen oder toxischen Beziehungen
In dysfunktionalen Beziehungen – gerade familiären – wird oft suggeriert: "Du musst trotzdem." Trotzdem hinnehmen. Trotzdem den Kontakt halten. Trotzdem daran festhalten.
Aber Jesus selbst sagt in Matthäus 10,14 zu seinen Jüngern im Kontext der Evangeliumsverkündigung: "Wenn euch jemand nicht aufnehmen oder eure Worte nicht hören will – geht weg."
Auch wenn sich diese Stelle direkt auf die Verkündigung bezieht, zeigt sie ein Prinzip:
Du darfst loslassen, wenn dein Gegenüber deine Grenzen nicht respektiert, deine Verletzungen nicht ernst nimmt oder emotional nicht erreichbar ist.
Jeder Mensch hat von Gott gegebene Freiheit. Und manchmal bedeutet das, dass ich anerkennen darf: Es gibt keine Bereitschaft zur Veränderung – nicht mehr verletzend, egozentrisch oder grenzüberschreitend zu handeln. Dann darf ich loslassen – und Gott weiterwirken lassen.
Du darfst sagen:
- "Ich lasse mich nicht länger verletzen."
- "Ich brauche Abstand, um heil zu werden."
- "Ich liebe dich, aber ich bleibe nicht in dieser Dynamik."
Grenzen sind kein Ausdruck von Rebellion. Sie sind ein Ausdruck von gesunder Verantwortung.
7 biblische Tipps für den Umgang mit toxischen Beziehungen
Wenn wir verletzt wurden, aber keine Versöhnung möglich ist, bleibt oft die Frage: Was kann ich als Christ konkret tun?
Neben Vergebung und Grenzsetzung gibt uns die Bibel viele praktische Hinweise. Einen sehr hilfreichen Überblick findest du in diesem Artikel des ERF:
➡️ 7 Tipps aus der Bibel, um toxischen Beziehungen zu begegnen
Dort geht es u. a. darum, wie wir klug kommunizieren, für Wahrheit einstehen und uns innerlich vor destruktivem Verhalten schützen können – ohne zu verbittern.
Vergebung mit Weisheit leben – biblische Beispiele und Einsicht
Du darfst vergeben und trotzdem Abstand halten. Du darfst loslassen und dennoch Grenzen setzen. Du darfst lieben, ohne zurückzugehen.
Jesus selbst hat Menschen vergeben. Aber er ließ sich nicht von allen vereinnahmen. In Johannes 2,24 heißt es, dass er sich „ihnen nicht anvertraute, weil er alle kannte.“
Er sah, was im Menschen war und handelte mit göttlicher Weisheit. Auch wir dürfen mit Weisheit handeln und auf Gottes Führung hören, wenn Nähe nicht mehr gut tut – oder sogar zur wiederkehrenden Verletzungen führt.
Wenn Loslassen nötig wird – mit Gottes Frieden
Du bist nicht ungehorsam, wenn du dich schützt. Du bist nicht lieblos, wenn du den Kontakt einschränkst. Du bist nicht gottlos, wenn du Nein sagst.
Du bist Gottes geliebtes Kind. Du darfst dich schützen. Du darfst gehen – und trotzdem vergeben.
Vergebung bedeutet: Ich halte deine Schuld nicht mehr fest. Aber ich gehe auch nicht mehr zurück an den Ort, an dem ich immer wieder verletzt werde.
Und vielleicht, irgendwann, heilt etwas. Vielleicht.
Aber deine Heilung beginnt nicht mit der Reue des anderen, sondern mit Gottes Wahrheit in deinem Herzen.
Ich weiß, wie schmerzhaft so ein Prozess ist – ich gehe ihn selbst gerade. Aber du darfst dir sicher sein: Wenn wir Jesus gehören, wird alles, was uns geschieht, von Gott durchdrungen – und letztlich zu etwas Gutem gewendet.
"Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen." (Römer 8,28)
Drei geistliche Übungen bei verletzenden Beziehungen
Manchmal ist es nicht möglich, mit einem Menschen zu reden, der dich verletzt hat – weil er emotional nicht erreichbar ist, sich verschließt oder jede Aussprache verweigert. Trotzdem darfst du einen heilsamen Weg mit Jesus gehen. Vielleicht helfen dir diese Übungen dabei:
1. Der Brief, den du nie abschickst
Nimm dir Zeit und schreibe einen Brief an die Person, die dich verletzt hat. Du kannst alles aussprechen: deinen Schmerz, deine Enttäuschung, deine Fragen. Lass es fließen. Du musst diesen Brief nicht abschicken. Vielleicht möchtest du ihn zerreißen oder verbrennen als Zeichen, dass du ihn vor Jesus niederlegst. Am Ende des Briefes kannst du, wenn du soweit bist, ein Segenswort sprechen: „Ich segne dich.“ Falls dir das schwerfällt – bitte Jesus um Hilfe dabei. Er versteht dich und er will dir helfen.
2. Die leere Tasse
Nimm eine leere Tasse oder ein Glas in die Hand. Stell dir vor, dass sie dein Inneres symbolisiert – leer, weil du dich ausgelaugt fühlst. Bitte Jesus, dich mit seinem Frieden, seiner Liebe und seiner Kraft neu zu füllen. Vielleicht magst du Wasser hineingießen als sichtbares Zeichen. Sprich dabei: „Herr, du füllst, was andere leer gemacht haben.“
Lass dich erinnern: Du bist nicht abhängig von dem, was Menschen dir nicht geben können.
3. Der heilende Spaziergang
Mach dich bewusst auf den Weg mit Jesus – im wahrsten Sinn. Wähle einen ruhigen Ort in der Natur. Stell dir vor, dass Jesus neben dir geht. Erzähle ihm laut oder leise alles, was du auf dem Herzen hast. Vielleicht gibt es an einem bestimmten Ort einen Stein oder Ast, den du aufheben und symbolisch wieder fallen lassen kannst. Sag: „Ich lege diese Last bei dir ab.“ Du kannst auch Psalm 23 beten, und dabei Schritt für Schritt Frieden empfangen.
Hoffnung trotz Schmerz – ein letzter Zuspruch
Wir haben einen Gott, der Wunder tut. Und deshalb brauchen wir die Hoffnung nicht verlieren. Wir dürfen mit allem zu ihm kommen und ihn auch bitten, Beziehungen zu heilen. Auch wenn es für uns unmöglich scheint – für Gott ist nichts unmöglich (Lukas 1,37). Er kann selbst verhärtete Herzen weich machen, Wege öffnen, wo wir keine sehen.
Also lasst uns mutig weitergehen – mit Gott an unserer Seite, mit Hoffnung als unserem festen Fundament.
Und: Lasst uns die Menschen, die uns herausfordern oder verletzen, segnen und für sie beten (Matthäus 5,44).
Quellen & Bibelverweise
· ERF.de: "Wenn das Miteinander vergiftet ist"
· Bibelverse aus Lutherübersetzung (gemeinfrei)
· Walter Wink: "Jesus und der gewaltfreie Widerstand"
· Heilsarmee.de: "Die andere Wange hinhalten"
· rpi-loccum.de: "Gewaltfrei nach Jesu Art"
Bibelstellen:
Matthäus 5,39
Matthäus 6,14
Matthäus 10,14
Matthäus 5,44
Lukas 1,37
Lukas 17,3
Johannes 2,24
Mose 31,49–52
Römer 8,28
Psalm 23
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